Vom Gebrauch der Wünsche by Lydia Mischkulnig

Vom Gebrauch der Wünsche by Lydia Mischkulnig

Autor:Lydia Mischkulnig [Mischkulnig, Lydia]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HAYMONVerlag
veröffentlicht: 2014-02-03T23:00:00+00:00


IV

Leon leitete nicht nur die Sternwarte, er arbeitete auch für andere Firmen. Seine Mitarbeiter waren Studenten der Astrophysik. Wenn die Gestirne zu beobachten waren, organisierte er Führungen für das Laienpublikum. Der Astronom verstand sich auf präzise Berechnungen, so dass er ein zweites Standbein im Maschinenbau und in der Securitytechnik ausbilden konnte. Den Bezug zu den Sternen ließ er sich nicht nehmen, also engagierte er sich als Vermittler zwischen Himmel und Erde.

Die Besucher sammelten sich im Foyer der Sternwarte. Leon erklärte den Gebrauch des Sextanten, bevor er das Publikum hinauf in die Kuppel führte. Er wartete, bis Ruhe eingekehrt war, schritt zum Pult und begann mit dem Vortrag. Er weihte die Laien in die sensationslosen Fakten des Sternschnuppenstroms der Perseiden ein. Unter den Gästen befanden sich auch Liebespaare. Trinkgelder waren zu erwarten. Etwa zwanzig Personen, eine erstaunlich gemischte Gruppe, international ausgewogen. Auch die Altersklassen mischten sich, ähnlich die Farben der Pullover. Auffallend viele Pulloverträger mitten im Hochsommer. Wie immer viele Jeansträger. Und teilte man die Leute noch differenzierter ein, überwogen die Langhaarigen. Einige trugen Kletterschuhe, als ginge es auf einen Berg. Nur zwei Herren verfügten über polierte Lederhalbschuhe. Heterosexuelle Paare, Singles mit und ohne Begleitung, Väter mit Kindern, unbegleitete Kinder. Ein Mann trug kreisrunde Ohrringe. In der Vitrine standen Schmuckschatullen, auf den Kissen lagen polierte Metalle, Sternschnuppenmaterial. Ein zehnjähriges Mädchen, Schottenrock, Lackschuhe, burschikoses Gesicht, stellte vernünftige Fragen. Was unterscheidet einen Kometen von der Sternschnuppe?

Ein Komet kreist um die Sonne, schmilzt, und im Sonnenwind werden die Partikel davongewirbelt. Sobald das Eisen in die Atmosphäre eintritt, verglüht es.

Sogar der philosophische Exkurs über die Frage des Lebens in den Galaxien bezauberte die Himmelssucherin.

Sterne sind Sonnen und Planeten werden bestrahlt. Keine Debatte. Das Universum ist eine große Maschine. Alles läuft nach Plan, man kann ihn ausmessen und errechnen.

Mit Zahlen war noch jedes Publikum zu beeindrucken. Natürlich war der Blick in den Nachthimmel auch der Blick in die Geschichte der Menschheit, man kann ins Leben hineinschauen und -leuchten, es bleibt zumeist dunkel.

Im Dach stand das Fernrohr. Ein Spiegelteleskop, das die Brennweite verlängert und etwa dreihunderttausend Euro kostet. Das All in seiner Systematik spiegelt ausgewogene Verhältnisse. Die Planeten tanzen ohne aneinander zu knallen. Gerieten sie zu nahe, fräßen sie sich.

Er öffnete die Kuppel. Das Dach teilte sich und der Saturn war mit freiem Auge als Lichtpunkt zu sehen. Da läutete sein Telefon.

Elsbeth war zusammengebrochen und Fruchtwasser war ausgetreten. Leon telefonierte im Taxi mit dem Krankenhaus. Er hatte noch die Stimme der Hebamme im Ohr, als er die Stiege hinaufjagte. Die Sirene der Rettung drang von der Straße herein. Elsbeth lag auf dem Boden. Sanitäter schnallten sie auf die Bahre. Leon stieg hinter dem Tross die Stiege wieder abwärts. Nicht oft gibt es die Möglichkeit, die Wendeltreppe hinuntergetragen zu werden und die Decke aus der Horizontalen zu betrachten, dachte er. Die Spindel führte bis ins Dach, wo die Terrasse lag, auf der Elsbeth zusammengebrochen war. Das verpatzt uns nicht das Leben, dachte Leon und anstatt die bevorstehende Geburt zu feiern, ging es ihm miserabel.

Mehrere Wochen lag Elsbeth im Krankenzimmer einer Privatstiftung.



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